Der Junge mit dem goldenen Löffel

Der Junge mit dem goldenen Löffel

Richard Weigerstorfer

Es war vor langer Zeit, als eine arme Familie zwei Söhne großziehen musste, einer der Söhne war schön, klug und geschickt, der andere Sohn tat sich mit allem ein wenig schwerer und nicht alles mochte ihm gelingen. Eines Abends stand ein alter Mann an der Türe und bat um Speise und Nachtquartier. Die Familie gewährte ihm beides und als der Alte am nächsten Tag weiterzog, schenkte er den beiden zwei Löffel als Dank.  Einer der Löffel war aus purem Gold, der andere aus Eisen. Er sprach zu Ihnen: Diese Löffel sind für eure Söhne, wählt weise, wem ihr welchen Löffel gebt.
Zu dieser Zeit war ein Löffel soetwas wie eine Visitenkarte, die einem so manche Türe öffnen konnte. Wenn der Löffel schön war öffnete er mehr Türen und ein goldener Löffel was das Wertvollste was man besitzen konnte. Bald schon entstand eine rege Diskussion unter den Eheleuten. Der Mann wollte den goldenen Löffel dem etwas schwerfälligeren Sohn geben, denn der Schöne und Geschickte würde seinen Lebensweg von alleine finden. Die Frau hingegen bestand darauf, dass der schöne, kluge Sohn den goldenen Löffel bekommen sollte. So geschah es dann auch, weil sich die Frau besser durchsetzen konnte.
Der schöne, kluge Sohn hatte ein wunderbares Leben, er lernte eine reiche Frau kennen, die sehr viel Vermögen in sein Leben brachte. Er hatte eine wunderbare Arbeit und es stand sogar an, dass er die Firma seines Arbeitgebers eines Tages übernehmen solle. Auch alle anderen Dinge, die er in seinem Leben anfasste, gelangen ihm. Dadurch wurde er immer fauler und überheblicher. Über seinen Arbeitgeber sprach er schlecht, auch über die Eltern seiner Frau. Die Qualität seiner Arbeit war nie so gut, er kontrollierte sich nie und viele Fehler fügten seinen Arbeitgeber großen Schaden zu, doch der goldene Löffel schützte ihn auf besondere Weise. Er erlaubte sich immer mehr Frechheiten. Eines Tages lachte er seinen Arbeitgeber aus, weil er so viel wegen seiner Fehler zu tun hatte und er machte keinen Finger krumm, um zu helfen.
An diesem Abend schaute er seinen Löffel an und es schien ihm, als hätte er blinde Flecken, die sich auch mit polieren nicht mehr entfernen ließen. Er machte sich aber keine Gedanken und vergaß seinen Löffel. Dann geschah es, dass er die Kündigung von seinem Arbeitgeber bekam. Das kam ihm sogar gelegen, denn in seiner Überheblichkeit hielt er sich für den Klügsten und Besten von allen und er würde eine eigene Firma gründen.
So zog er noch vor Gericht, um möglichst viel Geld von seinem Arbeitgeber herauszuschlagen. Als er eines  Abends seinen Löffel ansah, war dieser ganz grau und er konnte ihn keinem mehr zeigen, denn alle wussten, dass er einen goldenen Löffel hat, der nun nicht mehr golden war. Der Löffel sah aus, als sei er aus Eisen. Seine Unternehmungen gingen mit der Zeit alle schief, erst verlor er sein ganzes Geld, dann seine Frau und Kinder. Sein Löffel war nur noch ein rostiges Stück Eisen, das er nicht einmal mehr putzen wollte. So verfiel er immer mehr dem Alkohol, dem er schon immer gerne zugesprochen hatte und sein Leben verlief so, dass er allen Leid tat.
Sein Bruder mit dem eisernen Löffel musste diesen jeden Tag putzen, damit er nicht Rost ansetzte, das erforderte viel Zeit und Mühe. Aber immer, wenn er den Löffel putzte, ging ihm der Tag durch den Kopf und er war dankbar, dass er eine Arbeit hatte, die ihn und seine Familie ernährte. Er hatte beim Löffelputzen auch viele gute Ideen, wie er seinem Arbeitgeber helfen konnte, noch bessere und schönere Waren herzustellen. Das mühsame Polieren des Löffels schenkte ihm neben der Dankbarkeit auch Bescheidenheit und eine große Herzenswärme, so dass ihn alle sehr gerne hatten. Mit der Zeit ging es ihm und seiner Familie immer besser, durch seine gute Arbeit verdiente er mehr und eines Tages eröffnete ihm sein Arbeitgeber, der kinderlos war, dass er ihm gerne die Firma übertragen möchte, denn er wisse ja nicht, was er sonst damit machen sollte. Und er, der bescheidene, freundliche Mitarbeiter schien ihm genau der Richtige zu sein.
Als er an diesem Tag nach Hause kam und er seinen Löffel polieren wollte, schien es ihm, als würde dieser leicht golden schimmern. Von Tag zu Tag nahm der Glanz zu und schon bald konnte man erkennen, dass der Löffel golden geworden war. Sein Leben verlief für ihn und seine Familie wunderbar, alle waren immer gesund, hatten viele Freunde und waren sehr beliebt.

Das Ehepaar, das über die Jahre alt geworden war und den Niedergang des klugen Sohnes und den Erfolg des einfachen Sohnes miterlebten, sprachen oft darüber, ob es nicht besser gewesen wäre, die Löffel andersrum ihren Söhnen zu geben. Der Mann war sich seiner Meinung von damals sicher, die Frau hingegen zweifelte immer noch an seiner Meinung.  Eines Tages klopfte es wieder an der Türe und der alte Mann von damals stand vor der Türe und bat um Speise und eine Schlafgelegenheit. Die Frau wollte ihn weiterschicken, weil er mit seinem Löffel so viel Pech für den klugen Sohn gebracht hatte, der Mann setzte sich aber durch und bat den Alten in die Stube. Natürlich wollte der Alte wissen, wie sie ihre Wahl getroffen hatten und was aus den Söhnen geworden ist. Als er die Geschichte gehört hatte, meinet er: „Euer kluger Sohn kann seinen Löffel auch wieder zu Gold machen, wenn er anfängt dankbar, bescheiden und demütig zu leben, denn das sind die Eigenschaften, die ein Leben vergolden. Fehlen diese, wird jedes Leben über kurz oder lang an Freude und Segen verlieren.

    • Katjusha am 12, April 2019 um 23:42

    Antworten

    Vielen Dank für dieses schöne Märchen – es hat mir sehr gut gefallen.!! – Vielen Dank für die Veröffentlichung !

    Diese leisen Töne von Weisheit und Lebensklugkeit sind außerordentlch selten geworden und sollten gerade deshalb

    bewahrt werden; denn sie zeigen deutlich ,daß Bescheidenheit und Fleiß sich immer noch lohnen. – Auch und gerade

    in dieser rauhen und lärmenden Welt.

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