Das Holzfeuer

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Lena Lieblich

Der alte Mann am Fluss erzählte Kathi immer schöne Geschichten. Es waren Geschichten, die sie miterleben konnte, wenn sie beim Zuhören die Augen Schloss. Und noch was: Es fanden sich bei genauer Beobachtung der Natur eben die Dinge bestätigt, von denen der alte Mann erzählte. Es war, als würde er einfach der Natur die Geheimnisse abschauen, wenn er eine Frage hatte. Es war alles so einfach bei ihm.
Einmal hatte sie einen Freund und wollte immer bei ihm sein; die Eltern sprachen kein Verbot aus, aber sie spürte, dass es nicht ganz in Ordnung war: So wollte sie den alten Mann heute um eine Geschichte bitten.

Der alte Mann hatte ihr aufmerksam zugehört, er schwieg eine Zeitlang, um dann ganz langsam und leise zu erzählen:

„Manchmal habe ich den Eindruck, dass ein zu häufiger Kontakt wie ein zu starker Wind ist. Dir mag dieses Beispiel vielleicht komisch vorkommen, aber für mich stellt es sich wie ein Bild dar.

Es wird ein Feuer angezündet, und jemand bläst in die kleinen Flammen, bis sie züngeln und sich stabilisieren. Nach einer kurzen Zeit ist das Feuer so kräftig, dass man keinen Wind mehr braucht.
Es brennt ruhig vor sich hin, es ist harmonisch, ruhig, obwohl die Flammen flackern. Es strömt Wärme und Licht aus.

Zwei große Holzscheite brennen und nähren das Feuer. Sie verzehren sich, transformieren sich. Das Auflösen der physischen Form und Eingehen in das Geistige bereichert auch die Umgebung.“

„Es ist interessant,“ so sagte er ganz bedeutungsvoll, „der Raum um die Scheite darf nicht zu groß sein. Du weißt, ein einzelnes großes Scheit verlischt immer.“ Und er fuhr weiter: „Und er darf auch nicht zu dicht sein. Du weißt, es zieht sonst nicht und der Bereich der größten Nähe von zwei Scheiten verkohlt nur. Selbst wenn du Papier, das gut brennt, zu dicht zusammen hast, dann brennt selbst ein Telefonbuch nicht einmal.

Es gibt eine Zone, einen Zwischenraum, der ideal ist, da lodern die Flammen in einem wunderbaren Spiel. Ein Scheit wärmt das andere. Es ist fast etwas Heiliges, wenn man diesem Spiel der Flammen zuschaut. Vielleicht ist es der Zustand der Auflösung, des Überganges, den man spürt, wenn einen die Flammen faszinieren?

Ich sehe euch als diese beiden Scheite, wie du sicherlich schon erraten hast. Das Holz sind euere Unzulänglich-keiten, das, was uns trennt vom vollkommenen Mensch-sein. Dadurch, dass ihr euch begegnet und lichtvoll miteinander umgeht, könnt ihr vieles auflösen, in euch bewegen und zu göttlich liebenden Geschöpfen werden.

Und da erlebe ich zu große Nähe und zu große Ferne als störend. Und noch was kann stören, auch wenn der Abstand stimmt, das ist ein zu starker Wind. Er kann ein Feuer anheizen, auf die Dauer jedoch stört er. Er macht ein Strohfeuer oder löscht vorzeitig aus, was anders sich so schön hätte entwickeln können.“

Kathi schaute ihn mit großen Augen an, sie konnte sich nicht erklären, wofür der Wind symbolisch stehen sollte. Sie grübelte immer in ihren Gedanken, fand aber keine rechte Entsprechung. Zu fragen traute sie sich auch nicht, es war eine so heilige Stimmung, und sie hatte Angst, mit ihrer hellen, klaren Stimme das zu zerstören. So schwieg sie und hoffte, dass der alte Mann von alleine draufkommen würde.

Der alte Mann hatte natürlich gemerkt, dass Kathi ratlos schaute, und er wollte sie ein wenig auf die Folter spannen. Er lächelte sie an und fragte:
„Weißt du, was Holz ist?“ Ohne ihr jedoch die Möglichkeit einer Antwort zu geben, fuhr er sofort weiter und zeigte ihr eine kleine Hand voll Asche, dabei sprach er: „Diese kleine Menge Asche war einst ein großer, starker Baum, so wenig Irdisches bleibt, der Rest war Licht. Schau, wenn die Pflanzen wachsen, wandeln sie Sonnenlicht in Holz um. Ganz grob gesagt: Verbrennen wir Holz, wird wieder Sonnenlicht und Sonnenwärme frei.“ Kathi nickte, darüber hatte sie schon oft nachgedacht, und es war ihr nichts Neues, aber worauf wollte er hinaus? Der alte Mann hatte etwas innegehalten, dann fuhr er weiter: „Wir Menschen sind genauso, ganz wenig Irdisches und unendlich viel Licht. Vom Mengenverhältnis sind wir fast nur Licht, aber wir haben es vergessen und fühlen uns oft so unendlich schwer und dicht.“ Kathi nickte wieder, diesmal langsamer, ja, sie verstand den alten Mann und das, was er sagen wollte. Sie legte ihre Hand an das Kinn, als müsste sie es halten; in dieser Stellung konnte sie am besten weiterdenken.

Und sie dachte und dachte, es stimmte einfach alles zusammen, wenn ihr Leben das Verbrennen der Holzscheite wäre und sie Licht und Wärme abgeben, dann wäre es wichtig, dass man nicht zu schnell, zu heiß verbrennt. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ein noch grünes Stück Holz liegen, das Feuer loderte durch einen Windstoß auf, und es entwickelte sich zu einem großen Feuer. Dadurch strahlte es so viel Hitze aus, dass auch dieses grüne Stück Holz anfing zu brennen. So schaute es aber nur im ersten Augenblick aus.
Das Holz fing an zu qualmen und zu rußen und zu stinken, dann sah sie genau hin und konnte sehen, wie an den Enden Safttränen aus dem Holz quollen. „Das Holz weint“, dachte sie, „wie auch bei den Menschen.“ Ihr wurde klar, dass sie nie fanatisch werden dürfe, wenn es darum ging, über das Licht zu reden. Sah sie doch, dass das grüne Holz erst zwei, drei Jahre in der Sonne gelagert werden muss, damit es rauchfrei brennen kann.
Noch was wurde ihr nun klar, ihre Dorfgemeinschaft nahm nie jemanden auf, obwohl sehr viele darum baten, bei ihnen auf Dauer leben zu dürfen. Sie hatte es nie verstanden, nun war sie sich aber klar, dass diese Leute so wie grünes Holz nur Rauch, Qualm und Gestank in ihrer Gemeinschaft hinterlassen würden und selbst obendrein noch unheimlich darunter leiden würden.

Der heftige Wind ist also die Leidenschaft, dachte sie und nickte bestätigend für sich. „Ja, du hast recht“, sagte der alte Mann, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Der alte Mann sprach weiter: „Das Feuer vor meinem geistigen Auge wird nun von einem unsichtbaren Helfer neu zusammengerichtet, und die Berührung der beiden Scheite bewirkte einen Funkenflug, der gleich einem Feuerwerk die ganze Umgebung noch mehr erhellt und in ein wunderbar mildes Licht taucht.

Aber nicht nur Negatives löst sich in einem Beziehungsfeuer, sondern es entsteht so viel Neues, Positives, wie die Weite des Herzens, die euere Augen noch besser strahlen lässt und eine tiefe Milde in euere Stimmen zaubert.“
Sie stand auf, umarmte ihn und strömte ihm von Herzen all die Liebe zu, die sie empfinden konnte.

Das Bild vom Feuer begleitete sie ihr ganzes Leben, und immer konnte sie in diesem Bild jede Lebenssituation betrachten.

Sie wurde behutsam und sehr weise.

    • Anita am 16, März 2019 um 6:05

    Antworten

    Eine wunderbare Geschichte, die in soviel Lebenslagen passt. Vielen Dank dafür. Es bereichert die Seele.

    • Isolde Ardelt am 16, März 2019 um 6:13

    Antworten

    Liebe Lena Lieblich!
    Was für eine wunderschöne, tiefsinnige Geschichte, „Holzfeuer“. Ich bin immer wieder zutiefst beeindruckt, wie liebevoll, stimmig und zu Herzen gehend ihre Geschichten sind, Ein ganz großes Dankeschön, und ich bin sehr gespannt auf das Buch das dem Fastentransmitter beiliegt, auch dafür herzlichsten Dank. Mit einer ganz liebevollen Umarmung, herzlichst Isolde Ardelt 🙂

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